Fluchtwege

Nieuwe Statenzijl, Schleuse

Nachdem sich die Flucht mit Booten über den Dollart als zu unsicher erwiesen hatte, suchte man nach Alternativen. Für die aus Emden kommenden Flüchtlinge befand sich die erste Möglichkeit, die Grenze zu Fuß zu überqueren, am südlichen Ende des Dollarts. Dort, wo der Grenzfluss Westerwoldsche Aa in den Dollart mündet, befindet sich die Schleuse Nieuwe Statenzijl.

Dieser Fluchtort war nicht von den Wetter- bzw. Wasserbedingungen abhängig, war aber auch nicht ohne Gefahr. Man zögerte deshalb, diesen Fluchtweg zu benutzen:

"Bei den Schleusen war große Gefahr. Wir wussten nicht, ob dem Schleusenwärter zu trauen war. Die Schleuse selbst war mit Lampen ausgeleuchtet. Auf der anderen Seite der Schleuse standen regelmäßig deutsche Grenzbeamte, und im Falle einer Gefahr hätten sich die Flüchtlinge auf keine Seite retten können. Es war überall flaches und offenes Gelände. Es blieb eine riskante Unternehmung."

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 78

Dennoch fiel die Entscheidung für Statenzijl gut aus. Die Flüchtenden liefen am Fuß des Deiches längs des Dollarts zur Schleuse. Gleichzeitig wurde ihr Kommen in Groningen vorbereitet. Der Treffpunkt für die zuständigen Parteigenossen aus Finsterwolde und Beerta war das Haus von Luppo Stek in Drieborg. Hendrik Schwertmann erinnert sich noch gut an die Flüchtlinge:

‚Bei Steks Haus traf man sich regelmäßig. Auch die Unterbezirksleitung der CPN. Da wurde die Ankunft der Flüchtlinge vorbereitet. Wir trafen uns da mit einer Gruppe. Siemons, Topelen und mein Bruder waren auch dabei. Auf dem Rad fuhren wir dann ab. Unterwegs blieben ein paar Mann mit den Fahrrädern zurück. Drei Mann gingen zu Fuß weiter.‘

Auf ein Zeichen der Niederländer krochen die Flüchtlinge dann über die Schleuse, danach wurden sie zu zweit oder dritt zum Haus von Luppo Stek gebracht:

‚Sie wurden bei Stek ins Haus gebracht. Und dann fuhr mein Bruder mit dem Rad nach Nieuweschans. Da hatten wir jemand, und der hatte ein Lebensmittelgeschäft. Das war Klaas Volders. Der hatte auch einen Lieferwagen. Und mein Bruder gab dann an Klaas Volders mit seinem Lieferwagen einen Fingerzeig.‘ Wohin Klaas Volders die Flüchtlinge brachte, erzählte man Hendrik Schwertmann nicht. Er weiß nur, dass Volders sie am folgenden Tag abholte und dafür sorgte, dass sie in die Stadt Groningen kamen.“

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 78

Hendrik Schwertmann war nur einmal bei einem illegalen Grenzübertritt bei Nieuwe Statenzijl dabei. Koert und Fré Stek, zwei Söhne Luppo Steks, wissen, dass dieser Fluchtweg öfter gebraucht wurde. Fré Stek erinnert sich, dass der Absicherung des Weges auf niederländischer Seite große Aufmerksamkeit gewidmet wurde:

"Es geschah immer nachts. Sie wurden bei Statenzijl herübergeholt. Wie die Nachrichten herüberkamen, das weiß ich nicht. Dann kamen etwa fünf Menschen zu uns nach Hause. Die gingen wieder, wenn es dunkel war. Dann wurden zuerst bis Statenzijl Posten aufgestellt. Von dort ging es in einer Gruppe zurück nach Drieborg. Die Posten schlossen sich unterwegs wieder an. In Drieborg waren wieder Extraposten, weil da ein Kreuzungspunkt war. Und dann kamen sie bei uns an. Ich habe nie gemerkt, dass dabei einer verhaftet worden ist. Aber es mussten natürlich auch Leute sein, die zupacken würden, wenn es nötig war. Denn sie hatten keine Angst, die Jungs. Sie ließen sie nicht einfach in die Hände der Polizei fallen. Willem Schwertmann, der war sicher dabei. Ein kleiner, harter Kern. Das waren Topelen, Schwertmann, mein Vater, Hulsing ..."

Bei Stek angekommen konnten die Flüchtlinge essen:

"Sie erhielten zuerst Essen. Einige, fünf, sechs Kommunisten dabei, um zu sehen ob er essen konnte ... Wenn sie gegessen hatten – oder auch nicht – stand da das Auto." [Fré Stek]

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 79

Im allgemeinen wurden die Flüchtlinge dann von Drieborg aus in einen Zug gesetzt. Das machte Klaas Volders, der sie mit dem Auto abholte:

"In der Regel war es so, dass ein Ladenbesitzer aus Nieuweschans, Volders, sie abholte. Der hatte so einen kleinen alten Ford. Er mochte nicht in unser Haus kommen, er blieb draußen auf der Straße stehen. Und dann wieder der Wachtposten: sicher? Und in das Auto und weg! Volders brachte sie nach Nieuweschans. Und wenn es da zu belebt war, dann fuhren sie über Beerta nach Winschoten. Er setzte sie in die Bahn. Und dann stand in Groningen wieder einer am Zug, um sie abzuholen." [Fré Stek]

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 79

Ab und zu wurde einem Flüchtling durch die Menschen in Drieborg weitergeholfen. "Ich kann mich noch erinnern, dass einer meiner Brüder einmal jemanden zur Bahn in Nieuweschans gebracht hatte. Er musste das zweite Fahrrad wieder mit zurückbringen. Weil Volders Auto kaputt war. Daran erinnere ich mich noch." [Fré Stek]

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Über die Anzahl der über den Fluchtweg bei Nieuwe Statenzijl in Sicherheit gebrachten Menschen können Koert und Fré Stek keine Angaben machen:

"Es ist nicht so, dass in jedem Monat welche kamen. Es gab auch mal einen Monat dazwischen, wo keiner kam. Manchmal mussten sie zweimal im Monat antreten. Manchmal kam nur einer, manchmal kamen drei, es war ganz verschieden. In den Jahren von 1933 bis 1936 war es am ärgsten. In diesen Jahren. Damals, als der Faschismus hochkam und ein paar Jahre danach. Nach 1936 haben wir es nicht mehr mitgemacht." [Fré Stek]

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 79

Dass nach 1936 keine Flüchtlinge mehr ankamen, ist nicht verwunderlich. Die beschriebenen Verhaftungen unter den Emder KPD-Mitgliedern im Jahr 1937 werden diesem Fluchtweg ein Ende gesetzt haben.

Übrigens wurden durch Luppo Stek allein jene Flüchtlinge aufgenommen, die über Nieuwe Statenzijl kamen:

"Ich weiß wohl, dass es ein paar mal vorgekommen ist, dass Menschen zu meinem Vater kamen, die nicht angemeldet waren. Wovon er nichts wusste. Und denen wurde natürlich nicht geholfen. Denn auch in dieser Periode hatte man schon Menschen losgeschickt, um die Wege herauszubekommen. Und ich habe selbst erlebt, dass mein Vater Flüchtlinge abgewiesen hat: 'Weg! Ich weiß nichts davon!' Das können schon Menschen gewesen sein, die auf eigene Faust über die Grenze gegangen waren. Aber es konnten auch Verräter sein, die es herausbekommen sollten. Es ist ein paar Mal passiert." [Fré Stek]

Rode Hulp - De opvang van Duitse vluchtelingen in Groningerland, S. 79